Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen.
von Marc Ingel
Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.
Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs.
Das hat in solchen Fällen meist nur einen Grund: „Hier soll etwas unter den Teppich gekehrt werden“, vermutet der Jurist, der bislang zwar überall auf freundliches Interesse stieß, nur Antworten, die konnte ihm keiner liefern – was ihn natürlich nur noch mehr angestachelt hat, nachzubohren. Denn die obskure Disziplinarkammer hatte eben nicht nur über Fälle wie den Postbeamten, der im Dienst betrunken angetroffen wurde, oder den Bundesbahnangestellten, der falsch gekoppelt hat, zu entscheiden, sondern war auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt. Und hat sich, so weit lehnt sich Hotstegs jetzt schon aus dem Fenster, dabei nicht mit Ruhm bekleckert. „Das Gericht hat offensichtlich dazu beigetragen, Nazi-Kriegsverbrechern die Weste wieder schön rein zu waschen.“ Kein Wunder also, dass die Recherche des Anwalts so schwierig ist.
Für die Betroffenen hing viel ab von dem Urteil der Bundesdisziplinarkammer: „Nach einer Rehabilitation wurden sie wieder besoldet, blieben Rentenansprüche gültig“, so Hotstegs. Wer bei der Gestapo war, durfte nach Kriegsende nie wieder im öffentlichen Dienst arbeiten, „bei Tausenden anderen Beschäftigten sah das anders aus“. Ein Paradebeispiel für die These des Rechtsanwalts ist der Fall Gerhard Rose. Der war während des NS-Regimes Chef der Abteilung für tropische Medizin. Wegen seiner nachweislichen Beteiligung an Menschenversuchen im Konzentrationslager Buchenwald wurde er im Nürnberger Ärzteprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch siehe da: Nach der Haftentlassung 1955 wurde Rose von eben diesem Düsseldorfer Gericht plötzlich freigesprochen, auch seine Pensionsansprüche als Beamter erhielt er zurück. „Das steht in völligem Widerspruch zu dem, was über Rose bekannt war“, wundert sich Hotstegs, der in diesem Fall zumindest auf ein bisschen Literatur zurückgreifen kann. „Aber war Rose wirklich ein Einzelfall? Wohl eher nicht“, gibt sich der Hobby-Historiker selbst die Antwort.
Robert Hotstegs hat versucht, viele Quellen anzuzapfen, vom Stadtarchiv bis zur Mahn- und Gedenkstätte, vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bis zum Bundesarchiv in Koblenz. „Bis jetzt habe ich nur ganz wenig, und das ist schon erstaunlich in einer Zeit, in der die Vergangenheitsbewältigung doch so eine große Rolle spielt.“ Bis Januar wollte Hotstegs eigentlich eine Art Zwischenergebnis vorlegen, inzwischen hat er Zweifel, ob es ihm gelingt, das Mosaik bis dahin ausreichend zusammenzusetzen. „Ich stochere ein wenig im Nebel und habe ja auch noch einen richtigen Job. Aber aufgeben, das werde ich so schnell bestimmt nicht“, sagt Hotstegs.